Warum?

Buch: Wie weit willst Du gehen

Edit: Chapter 1/ turnover 2

Song: Five Finger Death Punch: Remember everything

Prolog unter: https://dauzone.com/alles-eine-frage-der-wahrnehmung/

Chapter 1/1 unter: https://dauzone.com/chapter-i/

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Erlebt habe ich einiges. Viele Berufe, viele Situationen, viele Stationen. Nicht alles war schlecht. Aber vieles von dem, was ich erlebt habe, hat mich halt zu dem gemacht, was ich heute bin. Heute bin ich Online-Händler. Nicht Fisch, nicht Fleisch, weder Tofu noch Bio. Irgendwie dazwischen. Ich handle online mit Dingen, die Menschen für sich als „notwendig“ erachten. Notwendige Dinge wie Kerzen, Luftballons oder Girlanden Aus welchen Gründen auch immer. Es geht nicht um Obdach, Mehl, Zucker und auch nicht um Wasser oder Heizung. Der Preis dabei ist meist nebensächlich – die Verfügbarkeit der Ware ist entscheidend. Dazu an einem bestimmten Punkt dieser Geschichte sicher noch etwas mehr. Entscheidend ist: ich habe das Verkaufen gelernt. Von Kindesbeinen an. Praktisch noch mit dem Schnuller im Maul …

Mit doppelt Sahne?

„Oooch – ist ihre Lütte süß!“ Ich war beim Abkassieren im Laden meiner Mutter. Dem Laden meiner Mutter – der selbsternannten Königin von Saba. Das mit „ihre Lütte“ war nicht schlimm für mich. Ich hatte schon ziemlich früh erkennen dürfen, dass Kleider halt Leute machen. Ich hatte im Alter von knapp 7 Jahren lange blonde Haare bis zum Hintern und sah wirklich aus wie ein Mädchen. Pummelig – aber süß. Und nur zu gern half ich meiner Mutter. Nicht, dass die Königin es nötig hatte. Aber hier – in ihrem Laden – konnte ich wenigsten keinen allzu großen Müll verzapfen. Somit war ich ja unter Aufsicht. Haptik. Gestik und Mimik der Kunden habe ich sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen.

Mit meinem Vater konnte ich zumindest wirklich reden. Seit Anbeginn meiner Fähigkeit, mich halbwegs verständlich zwischen Brabbeln und Seufzen ausdrücken zu können. Mein Vater war meine Bank. Nichts konnte ihn schocken. Wirklich nichts. Heute weiß ich, dass er das alles nur „ertragen“ hat --- aber das ist wieder ein anderes Kapitel …

Er drillte mir tagtäglich ein – im Alter von knapp 4 Jahren aufsteigend – dass es etwas Besonderes sei, ANDERS zu sein. Egal, was für Zapfen ich grad im Hirn hatte. Mein Vater bestärkte mich über Jahre in meinem durchgehenden Streben, dieses auch zu meinem Motto zu machen. Well done – alter Mann!

Letztlich war er aber, in den Jahren in denen ich ihn erleben durfte, auch nur der Clown, Firlefanz und Sklave meiner Mutter. Die hatte horrende Pläne. Als damalige Inhaberin einer Fabrik mit zig Angestellten. Sie war gerade einmal 20 Jahre alt Eine Unternehmerin im Berlin der 40er Jahre. Selbst mir sind ihre Wesenszüge von damals noch heute verständlich. Sie war ein Macher. Gender korrekt eine Macherin. Nichts war für meine Mutter unmöglich. Keine Herausforderung zu groß – kein Ziel zu weit. Machen war ihr Credo – ihre Religion – ihr Blut. Und jeder, der nicht ihrer Meinung war, war ihr erklärter Feind. Und wenn es nun eine Kreisstadt in Schleswig-Holstein und nicht mehr Berlin ist. Who cares – was einmal geht – geht immer!

Kann ich ihnen sonst noch einen Wunsch erfüllen?

Kaum ein anderer Satz hat sich in meinem kaputten Hirn so eingebrannt. Mamas Liebling hat diese Stunden im Laden aufgesogen. Die Tochter mit der langen blonden Mähne war ein Kunden-Magnet. Ich konnte mir der Registrierkasse umgehen – genoss diverse Schulungen mit meiner Mutter und wusste schon mit gut 8 Jahren, was in einem stationären Laden gefordert wurde. Der Kunde ist König. Dem Kunden antworten ist Pflicht. Den Kunden zu triggern ist aber deine eine Berufung. Wer fragt, führt das Gespräch. Kinderarbeit ist wirklich grausam. Ich habe es genossen – mit jeder langen Strähne meiner Haare!

Zeitsprung:

Gut 50 Jahre später ist es Zeit für eine Nivellierung. Sicher hat meine Mutter in Sachen Verkauf vieles richtig gemacht. Nicht umsonst bin ich heute noch ein stolzer Sohn der Dynastie der Hutmüller. Mein Vater hat sich kaputt gearbeitet – meine Mutter war durchgehend auf Droge. Mit gut 20 Jahren war ich Waise, da beide jeweils atok das Zeitliche gesegnet hatten. Meine personifizierte Bank war weg. Keine Gespräche mehr – keine Führung – keine Problemlösungen – kein nichts. Nur Leere. Dunkelheit.

Keinem der Beiden konnte ich je gerecht werden, da beide völlig anders tickten. Aber auch keiner der Beiden konnte mir je helfen. Ich musste – mit einigen wenigen Schamhaaren bewaffnet – ganz plötzlich aus einer behüteten Kindheit den Sprung wagen. In was genau? Es war doch eigentlich immer alles gut. Mein Vater ist mit Herzinfarkt bei der Sesamstraße sanft entschlummert. Meine Mutter hat, nachdem ich mein eigenes Leben leben wollte, in ihrer eigenen Scheiße nicht mehr die Kraft gehabt, 110 zu wählen.

Und dann saß ich – grad einmal 20 Lenze alt und einzig mit der Lebenserfahrung meiner Eltern bewaffnet, vor einem Rechtsanwalt: „Sie können das Erbe auch ausschlagen – das würde ich Ihnen raten!“ Die Wände kamen näher. Bilder meiner Kindheit tauchten auf. Bilder meiner Eltern in verblichenem Gelbstich. Am Strand – im Laden - in meinem Elternhaus. Beide verloren. Alles weg. Allein. Und dann diese Entscheidung. „Ihre Mutter hat mit 72 Jahren noch einmal 250.000 von der Bank bekommen, nachdem ihr Vater – Gott hab ihn selig – gegangen ist! Sie hat alles verloren und steht im Moment mit über einer halben Million in der Kreide. Selbst ihr Elternhaus hat diesen Wert nur annähernd. Ich kann ihnen nur raten – schlagen Sie es aus!“

Pufff! Ich willigte ein und gab dem Kerl die Hand. Kurze Unterschrift unter einem Dokument und 21 Jahre deines Lebens sind Geschichte. Fertig war es. Die Dynastie Hutmüller war gestorben. Aus und Ende. Ich hatte schwere Gefechte mit meiner Mutter. Grad nach dem Tod meines Vaters – in meinen bittersten Stunden – hat sie mich tyrannisiert. Hat alle Trümpfe einer „Mutter“ ausgespielt. Es war zu furchtbar, um es zu vergessen. Ich habe meine Mutter praktisch mit Wissen und Wollen sterben lassen. Ich war von meinem Vater zur Hilfe erzogen worden. Aber nur soweit, wie es jemand verdient. Und sie verdiente es einfach nicht. Ich habe trotz allem der Königin von Saba heute noch viel zu verdanken. An Weisheit. An Stärke und Durchsetzungskraft.

Und es tut mir bis heute nicht leid, dass ich auf ihr Grab gepisst habe. Im Beisein des eitlen Pfau´s von einem Pfaffen. Bei meinem Vater, dem armen Söldner, war die ganze Stadt da. Der Kirchhof musste gesperrt werden. Bei meiner Mutter nur 4 Menschen. Vier für ein ganzes Leben.

Karma? Ich glaube an das Schicksal und Karma. Ansonsten nur an mich!