Gewalt ist uncool - II

(erster Teil hier!)

06.06.1986

Um 20h war Treffen im Einsatz-Zentrum. Kurze Lagebesprechung, Ausrüstung holen, Ausrüstung checken und in die Mannschaftsbusse klettern. Gegen Mitternacht waren wir unterwegs nach Brokdorf, wo für den 07.06.86 zur Anti-Kernkraft-Demo aufgerufen wurde. Das Land Schleswig-Holstein hatte um Unterstützung gebeten, da mehr als 30.000 Teilnehmer erwartet wurden.

Unser Konvoi traf irgendwann gegen 2h morgens in Brokdorf ein. Saukalt, dunkel, leichter Nieselregen. Daran erinnere ich mich noch. Natürlich haben auch Polizisten eine eigene Meinung. Während der Fahrt und beim Abpacken in Brokdorf unterhielten wir uns natürlich auch über Kernkraft, über Tschernobyl, über die Gefahren, Risiken und die Zukunft. Das ist genau der Spagat, den ein Polizist praktisch jeden Tag leisten muss. Ich denke keiner von uns damals hatte wirklich Bock auf Kernkraft. Was nützt es aber? Du kannst Dir einen „Kernkraft-Nein-Danke“ Button ans Revers deiner Uniform heften, musst aber trotzdem für Recht und Gesetz sorgen. Mir persönlich war es doch völlig egal, wer sich da in aller Herrgottsfrühe am Deich bei Brokdorf die Beine in den Bauch steht und nass bis auf die Knochen wird. Aber es war nun einmal unser Job.

Gegen Morgen tauchten die ersten Gestalten auf. Regenjacken, Bundeswehr-Parkas. Ganz normale Menschen auf dem Weg zu einer Kundgebung. Wir Polizisten befanden uns noch im Innenbereich des AKW. Langsam aber sicher wurden es immer mehr. Es wurde laut. Es wurde gesungen und auch gebrüllt. Aber nichts, was einen wirklich in Panik versetzen sollte. Der eigentliche Kundgebungsort war die Deichstraße. Einige Hundert Demonstranten versammelten sich aber nun vor dem Tor zum AKW. Irgendein hirnverbrannter Obermotz unserer Polizeiführung sah darin anscheinend eine Provokation oder aber vielmehr eine Möglichkeit, sich endlich profilieren zu können. Die Wasserwerfer wurden scharf gemacht. Links und rechts mussten Polizisten diese abschirmen. Junge Polizisten. Anfänger. Praktisch Kinder. Ohne Vorwissen oder gar Erfahrung in diesen Einsatz geschickt.

Die kausale Kette

Um es hier gern noch einmal aufzugreifen. Wir sprechen hier von der sogenannten kausalen Kette. Dieses sich gegenseitig hochschaukeln durch Aktion und dadurch bedingter Reaktion. Dieses Ding mit: Bis einer weint! Natürlich hatten die Demonstranten kein Recht, bis an die Tore des AKW vorzurücken. Der Kundgebungsplatz war weit entfernt. Dann aber sofort die Wasserwerfer scharf machen, weil ein paar Hundert Regenjackenträger sich einem 3m hohen und mehrfach gesicherten Stahltor nähern? Ist das wirklich die Wahl des mildesten Mittels? Und dann schickt irgendein Trottel der Führung den Wasserwerfer, umsäumt von einer Hundertschaft ahnungsloser Polizisten auch noch aus dem Tor raus. Warum? Auch diese Frage konnte mir nie abschließend erklärt werden. Und so kam es, wie es kommen musste. Die Demonstranten machten Sitzblockade vor dem Wasserwerfer. Der Wasserwerfer wurde eingesetzt. Die Demonstranten warfen mit Erdklumpen und Matschbrocken. Die jungen Polizisten versuchten, die Sitzblockade zu lösen. Natürlich kam es dabei zu Handgreiflichkeiten. Mehr Demonstranten kamen zu diesem Tumult. Der zweite und dritte Wasserwerfer wurde eingesetzt. Weitere Demonstranten fühlten sich provoziert. Eine weitere Hundertschaft wurde in Stellung geschickt … es schaukelte sich halt auf.

Mittlerweile erhielten wir Informationen, dass Spezialkräfte aus Niedersachsen an den Zufahrtsstraßen nach Brokdorf weitere Besucher der Demo aufhielten. Hubschrauber kreisten nun über dem AKW Gelände. Ich bekam ein mulmiges Gefühl. Mittlerweile wurde den Wasserwerfern CS-Gas zugesetzt. Brennt wie Tränengas. Allerdings auf beiden Seiten - je nach Windrichtung wurde der feine Dunst auch auf unsere Kollegen gesendet. Welche - im Gegensatz zu vielen erfahrenen Demonstranten - keine Gasmaske am Mann hatten.

Und nun sahen die sogenannten Störer ihre Zeit gekommen. Verhaltensgestörte Subjekte, die ihren Hass, ihr persönliches Versagen und den gesamten Frust auf die Menschheit sehr gern auf staatliche Organe lenken. Vermummt in Tarnkleidung. Mit Zwillen, Stahlkugeln und Pyros bewaffnet. Im Schutz der allgemeinen Verwirrung gingen diese Gruppierungen ans Werk. Eine größere Gruppe versuchte von rechts hinter die Polizeikette zu gelangen. Die jungen Kollegen hielten Stand und wir formierten uns im Schutz ihrer lächerlichen Plastikschilde. 1986 war unsere Standardausrüstung mehr oder weniger für den Kindergarten gedacht. Springerstiefel, eine leichte Einsatzhose, ne Lederjacke und ein Helm mit Visier. Mehr war es nicht. Dazu ein Schlagstock am Mann und entweder ein rundes Schild für die mutigen Wikinger oder ein Schild im Rechteck, mit dem man sich kaum normal bewegen konnte. Ein Kollege direkt vor mir sackte in die Knie. Eine Stahlkugel hatte sowohl sein Schild als auch sein Visier am Helm durchschlagen. Schnelle Hände zogen den blutenden, bewusstlosen jungen Mann durch den Schlamm nach hinten. Und die Kette schloss sich wieder.

Molotows wurden geschleudert. Diese waren aber im Schlamm relativ ungefährlich. Viel schlimmer waren (kannte ich bis dato auch noch nicht) die 1 Liter Plastikflaschen mit Steinen und Fäkalien gefüllt, die gegen die Schilde der Kette geschleudert wurden. Die Dinger hatten im wahrsten Sinne des Wortes „mannstoppende“ Wirkung. Entweder durch die Wucht des Einschlags oder den bestialischen Gestank, der sich nach dem Platzen der Flaschen mit der CS-Brühe vermischte.

Wir hatten Mühe, uns zu formieren.

Immer wieder kippte ein Kollege aus der Kette. Ein Chaos aus Matsch, Gestank, CS-Reizgas und brüllenden Menschen. Neben mir viel einer meiner Kollegen. Eine große blutende Wunde am Oberschenkel. Neben ihm viel ein zweiter brüllend zu Boden. Im Augenwinkel sah ich etwas Helles mit Chrom weghuschen. Dann erwischte es mich. Glücklicherweise nur an der Lederjacke. Das Ende einer Vierkant-Stange. Durchsetzt mit langen Dachdecker-Nägeln und mit Nato-Draht umwickelt. Die Störer aus der zweiten Reihe der Demonstranten warfen diese über und in unsere Kette und rissen diese dann wieder mit Gewalt zurück. Kleidung, Fleisch und Beine meiner Kollegen verfingen sich in dieser perfiden Waffe. Mit dem Rücken am Zaun und den Kollegen vor Dir gab es an sich kein Entkommen. Endlich gab unser Einsatzleiter den Befehl des Vorrückens. Alles war besser, als hier wie die Maus gefangen zu sein. Die Presse wie auch die Demonstranten nannten das später „die polizeiliche Treibjagd durch die Wilster Marsch“. Für uns war es einfach nur die Flucht nach vorn. Die Augen voller Tränen, den Geschmack von Pisse und Blut im Mund und ohne Sinn und Konzept oder gar Führung aus einer ausweglosen Situation ausbrechen.

Mittlerweile war es ca. 14h am 07.06.86

Meine Kollegen und ich waren nun also seit ca. 30 Stunden ohne Schlaf im Einsatz. Wir sammelten uns. Hubschrauber landeten und wir begaben uns damit auf den Weg zurück nach Hamburg. Die Demonstranten, die den Weg nach Brokdorf nicht geschafft hatten, rotteten sich nun in Hamburg zusammen. Hamburg zog uns aus Brokdorf ab. Die Hansestadt brauchte uns. Kleinere Fleischwunden wurden von den Sanis noch im Heli versorgt. Der seit Stunden andauernde Adrenalin-Schock legte sich. Die Kollegen um mich herum wurden still. Ich weinte. Das gebe ich unumwunden und gerne zu. Ein solches Ausmaß an Hass und Gewalt; an purer Zerstörungslust gepaart mit Freude, andere Menschen zu verletzen, hatte ich bislang noch nicht erlebt. Ich war fertig. Die Eindrücke der letzten Stunden forderten Tribut. „Absitzen Richtung Feld“ brüllte es aus dem Bord-System.

Wir wurden auf dem freigeräumten Heiligengeistfeld abgesetzt. Unter den Rotorblättern der Helis liefen wir in Richtung Einsatzort Feldstraße. Von einem Steinhagel empfangen vielen neben mir wieder einige Kollegen zu Boden. Schien- und Knieschützer hätten in diesem Steinhagel sicherlich geholfen. Hatten wir damals aber nicht. Zeit zum Bergen der Kollegen hatten wir auch nicht. Aber es waren ja Sanis in den Helis. Also weiter. Im Vorbeilaufen sah ich ein brennendes Taxi, auf dessen Dach ein Vermummter mit Palästinenser-Outfit herumsprang. Am Einsatzort angekommen wurden wir von unserer Führung angewiesen, um eine Gruppe Demonstranten eine Kette zu bilden. Wir - dieser ehemalige Schädel-Trupp, nun völlig fertige Männer weit jenseits von Elite, formierten also mit weiteren überreizten Kollegen nun das, was im Nachhinein als „Hamburger-Kessel“ bezeichnet wurde.

Die Geschichte ist auch hier recht schnell erzählt. Über diesen Kessel gibt es ziemlich gute Publikationen, welche dessen Ausmaß als auch rechtliche Bedenklichkeit zumindest ordentlich schildern. Meine Kollegen und ich standen aber dort. Live. Vor Ort. Am Rande der Erschöpfung und nervlich am Ende. Nichts, was ich bisher erlebt hatte, war mit dem, was ich in den letzten Tagen und Stunden sehen und damit verarbeiten musste, vergleichbar. Ich wollte hier nicht sein. Eure Ansichten und politischen Bedenken interessieren mich grad nicht. Das Recht auf freie Meinung und Demonstration. Am Arsch --- war mir egal. Ich stinke wie ein Abwasserkanal. Habe das Blut meiner Kollegen an den Händen und der Uniform. Mir ist saukalt. Ich habe Hunger und ich muss pissen. Ohne Ende pissen! Aber ich muss dienen. Und ein Ausscheren aus der Kette würde bedeuten, die Kollegen im Stich zu lassen. Keine Option!

Der Kessel

Und dann stehste da. Und wieder war es das gleiche Spiel. Dieser „Kessel“ war ebenso unnütz wie die ganzen Scharmützel und Gefechte zuvor. Es hat sich wieder einmal aufgeschaukelt bis einer heult. Für nix und wieder nix, was uns allen ein Blick in die Geschichte leicht klar macht. Wir standen aber nun dort. Einige hatten noch ein Visier. Andere nicht. Wir wurden angespuckt. So das Grüne von unten. Mitten ins Gesicht. Ein Kerl steht direkt vor mir. Abstand 30-40cm. Grinst mir ins Gesicht und pisst mir dabei seelenruhig auf die Stiefel. Warm läuft es mir in die Stiefel rein. Meine Contenance ist am Ende. Ich will gerade ausholen. Über den Knopf im Ohr höre ich: „kein Schlagstock-Einsatz. Die Presse ist anwesend!“ Also zurück in Reihe und die Warme Pisse an den Füssen irgendwie gutheißen.

Mal ehrlich: zwei Menschen sind unterschiedlicher Meinung. Können aber gerade den Schreibtisch nicht verlassen. Und der eine pisst dem anderen in die Stiefel. Wie lange kann man da ruhig bleiben? Aber auch hier wurde vorab mehrfach gewarnt. Bitte verlassen Sie diesen Bereich. Trotzdem blieben diese Demonstranten da. Und wir standen nun dumm drum rum. „Ich bin nichts - ich kann nichts - gebt mir eine Uniform“. Das mussten wir uns bis weit nach Mitternacht anhören. Über 13 Stunden dauerte dieser blödsinnige Kessel. Flogen die Beleidigungen, die Spucke und von außen die Bierflaschen. Irgendwann ging auch dieser Einsatz zu Ende. Irgendwann waren wir wieder in der Unterkunft. Nur die Klamotten loswerden. Viele meiner Kollegen warfen dieses Konglomerat aus Matsch, Fäkalien, Schweiß und Blut einfach nur in die Feuertonne. Keine Verherrlichung - pure Apathie. Wir standen gegen 4h morgens fast nackt um eine Feuertonne, in der unsere Uniform verbrannte. Prosteten uns über den Flammen mit einem Bier zu und waren ansonsten völlig still. Leer.

Nachsatz:

Natürlich wurde wenig später die Einsatzleitung und dazu die gesamte Polizeiführung abgekanzelt. Wir kleine Bullen bekamen alle einen Eintrag in die Akte. Drauf geschissen. Letztlich haben wir es ja überlebt und ich hoffe für mich, dass ich dieses Kapitel meines Lebens mit diesem Bericht nun endlich einmal abschließen kann. Aber was ist dieser Einsatz im Gegensatz zum Krieg. In Relation nur ein weiterer Kindergarten. Und genau deshalb weiß ich, wie kacke Gewalt ist und warum Kleinigkeiten zu Kriegen eskalieren können. Bis einer heult ….. für nichts und wieder nichts!

Sorry  :(