Gewalt ist uncool ...

Heute beginne ich mal am Ende eines Kapitels. Ich weiß nicht wirklich, ob es klug ist, solch einen Bericht in der heutigen Zeit zu posten. Aber was ist heutzutage schon richtig, falsch oder gar klug?

Hamburg. Linie 1. U-Bahn-Station Alsterdorfer Str.

Eigentlich ganz nett. Zur linken das kleine Stadion des SC Sperber. Liebevoll das „Schmuckkästchen“ genannt. Rechts davon der kleine Speckgürtel der Innenstadt – gleich nach Eppendorf. Ich registrierte das aber alles nicht wirklich. Wie oft hatte ich hier oben nach Feierabend gestanden und einfach nur einem Liga-Kick der Sperber zugesehen oder meine Gedanken in der Abendsonne baumeln lassen. Damals wunderte ich mich einfach nur und immer wieder, warum meine Springerstiefel so kaputt aussehen und starrte dabei 2-3x meiner Bahn nach, die ich eigentlich nehmen wollte. Ich war außer der Gedanken an meine dreckigen Stiefel völlig leer ….

06.06.1986

Seit einigen Jahren nun war ich Polizeibeamter der Stadt Hamburg. Nur wenige Monate davon in Uniform, da ich die Notwendigkeiten von Befehlen beim „normalen“ Streifendienst ein ums andere Mal vehement in Frage stellte. „Befehl ist Befehl“ hieß es da immer wieder. Und auf Nachfrage, warum dieser Murks nun als Befehl ausgegeben wurde kam immer wieder „war schon immer so – frag nicht – diene!“ Damit war bei mir kein Staat zu machen. Auch wenn ich erst 24 Lenze auf die Uhr brachte. Ich wollte das WARUM wissen. Und wenn es weder Argumente noch eine zumindest stimmige Erklärung gab? Dann tat ich es nicht. Punkt!

Dazu muss erklärt werden, dass der Hamburger Senat recht einfach rechnete. Die Ausbildung eines Polizeibeamten dauert im Mittel 3 Jahre. Drei Jahre kosten den Steuerzahler um bei 100.000 (damals noch DM). Dem kündigen wir nicht einfach – den stecken wir woanders hin. Das Auffangbecken für solche Kandidaten, Gestörte, Revoluzzer, Psychopathen und Befehls-Ketzer war der Schädel-Trupp. Eine Elite. Das sage ich nicht ohne einen gewissen Stolz. Keiner von uns hätte als „gemeiner“ Polizist wirklich Streife fahren dürfen. Aber wir waren eine Einheit – und was für eine.

Als Beispiel nehme ich mal „Plocke“ (Name geändert). Plocke war hochgradig sozial engagiert. Arbeitete neben und auch nach seinen Schichten in der christlichen Jugend. Pfadfinder, bei den Samaritern unterwegs und half bei Not auch im Krankenhaus und im Hospiz am Hauptbahnhof. Plocke war 1,65cm groß. Ebenso breit wie tief. Plocke war umgänglich, lustig, immer zu Scherzen bereit und ein StandUp Komiker, den die Welt einfach gebraucht hätte. Plocke war aber schizo. Völlig neben der Spur, wenn es in den Einsatz ging. Plocke hatte in seiner Einsatzjacke am Rücken zwei Auskerbungen, in denen verlängerte Schlagstöcke eingefasst waren. Sobald Not am Mann war, griff sich Plocke hinten an den Kragen – zog die beiden Teile raus und metzelte drauf los. Völlig egal, ob Frau, Kind oder Mann im Weg standen. Plocke klärte das. Brachial, schnell, ohne Rücksicht oder überhaupt Gewissen. Danach ne Fluppe angesteckt und Witze gerissen. Nicht über den gerade beendeten Einsatz. Einfach nur so. Als ob das Vorher überhaupt nichts gewesen wäre. Nun muss man dazu wissen, dass mindestens 15min vor so einem Einsatz des Schädel-Trupps 3x gewarnt wurde. Nicht mit dem heimischen Mikrofon, sondern über bombastische Lautsprecher. „Bitte verlassen Sie dieses Areal!“ Und wer bei drei (3) noch nicht verschwunden war, hatte halt Pech gehabt, da er eine potentielle Gefahr darstellte.

Durchgeknallt und Polizei

Tja. Was genau unterscheidet nun einen Bullen von deinem Investment-Banker oder dem Notarzt, der ausgerechnet an deiner Unfallstätte auftaucht? Wenn alle drei Psycho sind? Alle vertrauen trotzdem auf dich. Aber keinem kannst Du wirklich hinter die Stirn gucken. So einfach meine Rechnung. Plocke war dazu noch der entspannteste Part unserer Truppe. Es ging noch weit härter. Aber eines war so sicher wie die Schwerkraft existent ist: mit diesen Kollegen an der Seite war dein Rücken immer frei. Immer sicher! Ihr kennt sicherlich diese Gruppen-Teambuilding-Spielchen, wo sich einer mit dem Rücken zur Gruppe hinstellt und sich fallen lässt. „Hurra, hurra – und jetzt ein Pikkolöchen“. Brauchten wir nicht. Wir wussten, wer neben und hinter uns steht.

Warum Schädel-Trupp. Ist recht einfach erklärt. Wir waren die Speerspitze, um sogenannte Störer aus einer Demonstration zu eliminieren. Polizeikette geht auf --- wir in Dreieck (Kopf voraus) mitten durch die meist hasserfüllte Menge. Störer gegriffen – ins Innere des Dreiecks gesichert und wieder zurück hinter die Linie. Was sich taktisch einfach anhört, war inmitten von Spucke, mit Pisse gefüllten Kondomen, Brandsätzen und Steinen nicht wirklich einfach. Das Leben im Schädel-Trupp war dazu aber noch relativ easy. Dienst von 8-16h, ansonsten in Bereitschaft. 1-2 Stunden am Tag irgendwelchen Stoff auf der Schulbank lernen. Der Rest war Sport: Fitness, Gewichte, Nahkampf, Fußball oder andere Ballsportarten. Wann, mit wem oder wie war uns überlassen. Bedingung war einzig: jederzeit bereit. Ich wohnte damals im beschaulichen Eimsbüttel. Hatte grad meine Sachen in der heimischen Wohnung abgestellt, als das Telefon klingelte. Es war der 06.06.1986 …. 17:45h Uhr. Ich weiß es genau, da ich auf dem Weg zum Telefon (Handy gab es noch nicht) über die Couch stolperte und mit der Wanduhr im Flur unsanft kollidierte.

Mein gesamtes Weltbild (bis heute) änderte sich ab diesem Augenblick ….

07.06.1986 —  to be continued  -   Part II