Starkstrom Silvester

Buch: Wie weit willst Du gehen

Leben 1

Chapter 5

Edit: Starkstrom Silvester

Song: AC/DC – She´s got the Jack


Ganz ehrlich – ich habe den Hype von Kindesbeinen an nicht verstanden. Das Böllern. Die alten und nun wieder neuen und dadurch wieder guten Vorsätze. Das sich heute plötzlich gegenseitig herzen und in den Arm nehmen. Die monströsen Vorbereitungen für die Party, den Status, das nun auf den Punkt unbedingt Fröhlich sein müssen. Der Sekt ohne Selters. Die Bockwurst und/oder Frikadellen. Es geht mir persönlich aber mit allen Feiertagen so. Kirche bedeutet mir nichts und wenn es was zu feiern gibt, wird gefeiert. Wenn es was zu verschenken gibt, wird geschenkt. Dafür braucht es kein festes Datum. Nur den passenden Augenblick und das passende Ziel. So einfach meine Rechnung.

Zum Heiligabend war die Familie mal wieder beisammen. Meine Schwiegermutter in spe begrüßte mich atok mit den Worten: „Ich hörte, Du schreibst ein Buch“ Nun muss man, um diese Frage oder besser Feststellung in eine korrekte Linie des Verständnisses bringen zu können, etwas mehr über die Mutter meiner Lebensgefährtin wissen. Diese Frau hat einfach alles. Kann ihren Lebensabend eigentlich genießen und dem lieben Gott durchweg den Stinkefinger auf Weltreise zeigen. Tut sie aber nicht. „Mutti“ ist durchweg sauer, angepisst und wurde in ihrer persönlichen Wahrnehmung vom Leben grundlegend verraten. Neidisch, unglücklich und deprimiert. Eine absolut toxische Mischung. Gerade auch und eben dann, wenn ich zu solchen kalendarisch erzwungenen Treffen anwesend bin. Aber nichts ist halt so schlimm, dass es nicht für etwas gut wäre. Mutti hatte in der weiteren Unterhaltung eine kurze Frage formuliert, die mich auf eine Idee brachte: „über welches deiner Leben schreibst Du denn?“

Well done Mutti. Auf den Punkt gebracht. Ich suchte, seit ich mit diesen Zeilen begann, nach einer übergeordneten Katalogisierung dessen, was mir alles geschehen war, in den Schoß gelegt und wieder genommen wurde. Heute nun ist es an der Zeit, dieses Leben in Abschnitte einzuteilen. Und das folgende Kapitel beendet somit folgerichtig mein erstes Leben. Meine durchweg grandiose und perfekte Kindheit.

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Zeitsprung

1977. Ich war grad einmal 14 Jahre alt. Eine braune Ledertasche mit Überschlag begleitete mich seit Schulbeginn auf dem Weg zu dieser Institution. Auf der Innenseite des Überschlags waren mit fettem Edding ABBA und Boney M. eingeschrieben. Ein Kind meiner Zeit halt. Ich weiß heute leider nicht mehr, was mich auf den Gedanken brachte, nun ausgerechnet zu AC/DC zu wollen. Ich kann mich erinnern, damals auch so etwas wie Black Sabbath, Rainbow, Deep Purple, Kiss und Nazareth auf dem Schirm gehabt zu haben. Wer die ersten Zeilen dieses Lebens gelesen hat weiß, dass ich ein Freigeist war und sein durfte. Mein Vater besorgte die Karte, buchte mir einen Zug und ein Hotel in der S-H Metropole Kiel. Der Kleine durfte allein in die Welt.

Geschuldet war diese noble Geste einzig und allein einem gewaltigen Fehler meines Erzeugers – so titulierte es jedenfalls meine Mutter. Ich war mit meiner Auswahlmannschaft zum D-Day in Duisburg. Auswahltag des DFB. Zig Hundert Jungs waren in Fußball-Stiefeln unterwegs. Mein Vater war natürlich in seiner Funktion als Fahrer dabei. Er war immer da, wenn ich Fußball spielte. Immer! An diesem Tag war der erste Torwart krank. Der zweite Torwart verletzte sich beim Training und es fehlte damit ein Torwart. Ich bin ziemlich sicher, dass meine Wenigkeit den Begriff „Mannschaftsnutte“ erfunden hat. Über viele gute und versierte Trainer hatte ich bis dato alle Positionen, die es auf so einem Fußballfeld der 70´er gab, erlernt oder zumindest besetzt. Ergo ergab ich mich im Sinne der Mannschaft und ging ins Tor. Rückblickend eine dumme Idee, da ja nur die Talente des Einzelspielers für die Scouts wichtig waren. Aber ich hatte es wenig später ja auch so in die Auswahl geschafft.

Ich weiß es noch, als wäre es gestern passiert. Ich machte einen Abwurf zu meinem Mitspieler. Dieser konnte das Spielgerät nicht ordentlich verarbeiten und der Stürmer rauschte nach Balleroberung auf mich zu. Ich machte mich so groß wie möglich. „So spät wie möglich zu Boden gehen. Mach dich groß. Biete ihm eine Seite an …“ All das rauschte mir durch den Kopf und Nanosekunden später kullerte mir der Ball durch die Beine ins Tor. Durch die Hosenträger. Der Stürmer ist kurz vorher noch gestolpert und kickte mit der Pieke durch meine Beine. Legenden besagen bis heute, das es Herbert Wass war. Mir egal. Der Penner hatte mich getunnelt.

Der Tramp

Immer – ohne Ausnahme- wenn ich vom Platz ging, stand mein Vater da. Kurzes High-Five und in den Arm nehmen. Das war gesetzt. Diesmal war er nicht da. Ich war zudem immer der letzte in der Kabine. Meine beckenlangen Haare zwangen mich zu langen Einheiten mit dem Fön. Geputzt und gestriegelt stand ich später auf dem Hof. Nur mein Vater war nicht mehr da. Meine gesamte Mannschaft war weg und das Licht in Duisburg-Wedau ging langsam aus. Per Tramper kam ich am Abend, weit nach 22h, daheim im dunklen Dithmarschen an. Meine Mutter hatte schon die Polizei verständigt. Mein Vater würdigte mich nicht eines Blickes. Es hat Wochen gedauert und viel Fürsprache meines damaligen Trainers bedurft, um meinen Vater zur Einkehr mit mir und meiner Mutter zu bewegen. Mein Vater: „So eine Gurke fängt man sich einfach nicht!“ Meine Mutter: „Für so ein Kullertor lässt Du deinen Sohn allein durch halb Deutschland bei Nacht trampen?“

Ich fand es gar nicht so schlimm. Ich hatte viel zu erzählen und tolle Fahrer, die mich langsam aber sicher meinem Ziel näherbrachten. Es war für mich ein Abenteuer nach dem Abenteuer. Nicht mehr – nicht weniger. Die Gefahr, die meine Mutter und sicherlich auch mein Vater sahen, war mir in keiner Weise bewusst.

23. Sept. 1977

Besagtes Ticket hatte ich nun in der Tasche. Ich wurde am Zug in Kiel von einer Dame abgeholt, die mir mein Hotel und mein Zimmer zeigte. Danach war ich allein für mich verantwortlich. Noch nicht flügge – aber stolz wie Bolle. AC/DC live. Angus Jung und Bon Scott direkt vor mir. Das erste Konzert meines Lebens. Ich wusste damals nicht, dass es echt gefährlich ist, direkt neben der „Wallofbass“, der Lautsprecherwand zu stehen.

Es war einfach mega. Heute noch sehe ich dieses Konzert vor meinen Augen. Die Menge. Diese Elektrizität. Der Bass – dieser unheimlich dumpfe Bass. Du spürst es im ganzen Körper. Der Bass übernimmt deinen Puls. Und dieser irre Angus, der über die Bühne raste. Es war der Beginn einer Leidenschaft, die mich bis heute fesselt. Ob Wacken, ob Rock am Ring. Ob Belgien, Frankreich oder irgendwo im Taunus. Jedes Event, jedes Heavy-Metal Spektakel erdet mich seitdem irgendwie. Nach AC/DC in 1977 hatte ich über 3 Tage den Tinnitus. Ich hörte nichts mehr. Mein absolut erstes Ziel aber war meine lederne Schultasche mit dem Überwurf. Boney M. und ABBA wurden nicht nur fett gestrichen. Sie wurden auch mit Panzertape abgeklebt und darunter hatte ich ein Stück von einem AC/DC Schal angetackert und durch meine Mutter festnähen lassen. Ganz ehrlich. Ohne die Mucke wäre vieles nicht so gelaufen, wie es gelaufen ist. Und sicherlich würde es dieses Leben nicht so gegeben haben, wie es nun einmal war. Diese Kindheit war natürlich 1977 noch nicht abgeschlossen. Aber ich kam anders aus diesem Kiel wieder, als ich hingefahren bin.

#metalisreligion

Frohes neues what ever