Von einem der auszog …
Wie schon oft erwähnt, war ich gern Polizist. Fast 10 Jahre habe ich in >meinem< Hamburg diesen Beruf oder besser diese Berufung ausüben dürfen. Wie bei „Szenen einer Ehe“ gab es da gute und schlecht Tage. Hier mal ein kurzer Einblick in die schlechteren …
Vorgeschichte:
Rückblickend war ich sicher kein einfacher Mensch in der Funktion eines Beamten. Damals wie heute zählte für mich immer der Sinn einer Unternehmung. Unternehmungen im Bereich der Polizei waren jedoch immer mit Befehlen behaftet. Machte dieser Befehl für mich keinen Sinn, fragte ich nach, bevor ich diesen ausführte. Wenn dann, wie so oft, die Floskel kam: „frag nicht – es war schon immer so. Diene deinen Eid!“ gingen bei mir alle Ampeln auf Rot.
So kam es, wie es kommen musste. Über viele Stationen fand ich meinen Platz im „Schädelzug“ der Hamburger Bereitschaftspolizei. Dieser Schädelzug war ein Sammelsurium von Psychopathen, Narzissten, gefallenen Individualisten und ewigen Träumern von einer besseren Welt. Einzelkämpfer in einem von sturen Mitläufern durchsetzen System.
Emotionslos betrachtet hätte keiner dieser Truppe, inkl. #Meinereiner, damals überhaupt noch den „Dienst an der Waffe“ ausüben dürfen. Aber wir waren halt ... anders. Bestens ausgebildet – erfahren in allen Belangen jeglicher Kampfsportarten – belastbar und 100% körperlich fit. So zumindest die offizielle Beschreibung dieser Sonder-Zugriff-Truppe. Inoffiziell ging es einfach nur darum, dass die Ausbildung eines jeden von uns in etwa 200.000 DM gekostet hatte. Wir waren schlicht zu teuer zum Ausmustern und zu „speziell“ für den offiziellen Dienst auf der Straße.
Mit dem Kopf voraus
Der Schädelzug bekam seinen Namen nur zu Recht. Immer mit dem Kopf voraus ins Getümmel. Wir wussten zwar, dass jeder von uns voll einen an der Waffel hatte. Aber es war Verlass. Dein Rücken war zu jeder Zeit gedeckt und Du warst nie allein. Egal wie brenzlig, egal wie aussichtslos – es gab immer einen Arm neben dir. Immer!
Sinn dieser 30-Mann-Truppe war die Ingewahrsamnahme von Störern. Der Störer in unserem Sprachgebrauch war damals die miese Socke, die sich hinter den „guten“ Demonstranten verschanzte und von dort aus mit Molotow, Böllern oder ähnlichem agierte. Zecken, die diese Welt nicht braucht. Heute wie damals! Es gab immer eine Polizeikette vor uns. Es wurde vorab gesondert, wo diese militanten Socken agieren. Die Polizeikette geht auf – der Schädelzug geht „mit dem Kopf voraus“ im Dreieck mitten durch die Demonstranten.
Der 2er/3er-Kopf der Truppe „zieht“ sich die ausgemachten Störer, die dann nach hinten ins Dreieck durchgereicht werden. Die Außenseiten des Dreiecks schützen den Abtransport – die Basis den Rückzug. Polizeikette wieder auf – Schädelzug rein – Ende des Einsatzes.
Wir waren darauf geschult – wir waren gedrillt – wir waren effizient und schnell. Wir waren nicht unbedingt beliebt. Aber das brauchte auch niemand von uns - wir waren einfach gut! Der Job an sich war relativ easy. 8 Stunden „normaler“ Dienst in der Kaserne. Wenn nichts los war, haben wir trainiert oder Karten gespielt. Wenn was los war, waren wir da! Allerdings ständig telefonisch in Bereitschaft und damit erreichbar, falls wir gebraucht werden. Ich höre heute noch den Klingelton eines Telefons mit Wahlscheibe …
Vergessen geht nicht
06. Juni 1986: Demonstrationen nach Tschernobyl waren an der Tagesordnung. Unsere Truppe war in Alarmbereitschaft. Ein „normaler“ 8-Stunden Dienst hatte dann halt 12 Stunden. Schlafen kannste da nicht, da andauernd Alarm, Fehlalarm, Stampide oder Rühren an der Tagesordnung stehen.
Unsere Truppe war um 08Hundert gesammelt in der Kaserne am Freitag, den 06. Juni 1986. Training war an der Tagesordnung – immer wieder unterbrochen von Anweisungen und deren Rücknahme. Gegen 22h durften wir die Kaserne in Richtung Heimat verlassen.
07. Juni 1986: Um 2:00 Uhr klingelte das Telefon – Einsatzbesprechung. Wenig später in der Kaserne wurden wir auf die Brokdorf-Demo vorbereitet. 35.000 – 50.000 Demonstranten. Ca. 3.000 Störer. Schweres Geschütz. Anfahrt per Bus – jetzt!
Gegen 6:00h in Brokdorf aufgeschlagen. Einsatzbesprechung. Wenig später standen wir im Morgendunst hinter der Kette unserer Kollegen.
Es war unwirklich. Ich denke, dass nicht nur ich Angst hatte. Wir waren 100% ausgebildet – aber nicht für diese Situation. Die Störer aus der dritten Reihe warfen 3-4m lange Holzlatten aus dem Baumarkt in die Kette unserer Kollegen, die mit Nägeln gespickt waren. Ein kurzer Ruck – die Kollegen vor uns vielen wie die Fliegen. Schreiende Polizisten, Blut überall, skandierende Demonstranten, Rauchgas und Molotow. Wir sind einfach überrannt worden.
Denn ganzen Tag Scharmützel und Haue neben, vor und hinter unseren Linien. Die ganze Nacht durch Kollegen retten, versorgen - dann sammeln und wieder los. Noch heute träume ich davon. Es war einfach schrecklich.
Keinen Schlaf – keine Hygiene – keine Zeit.
08. Juni 1986: Hamburg braucht uns! Kollegen aus Bremen und Niedersachsen waren angerückt. Für den Schädelzug kamen Hubschrauber, die uns nach Hamburg zurückbrachten. Über dem Heiligengeistfeld konnten wir uns abseilen. 100% ausgebildete Spezialisten in ärmlichster Schutzmontur wurden schon am Seil hängend von Wurfgeschossen und Pfeilen abgeschossen. Im Sprint zu unserem Einsatzort sah ich Freunde und Kollegen fallen, deren Schienbeine von Pflastersteinen zertrümmert wurden.
Sogenannte Demonstranten zündeten Taxis an – verwüsteten Polizeiwagen und legten Geschäfte der Anwohner in Schutt und Asche. Wir erhielten einen Befehl und kesselten wenig später diesen Abschaum ein. Ca. 800 Demonstranten in einem Ring von ca. 120 Polizisten, die auf das Äußerste (auf beiden Seiten) gereizt waren.
Nun stehst Du da --- gute 72 Stunden später ohne nennenswerten Schlaf und mit den mannigfaltigen Eindrücken der letzten unsäglichen Stunden. Und dir steht ein völlig wirrer Typ gegenüber. Spuckt dir mehrfach grün und von ganz unten ins Gesicht – versucht dir unten rum in die Weichteile zu treten und skandiert: „Ich bin nichts – ich kann nichts – gebt mir eine Uniform!"
Und über den Knopf im Ohr hörst Du durchgehend: "Keinen Schlagstockeinsatz über Schulterhöhe – die Presse ist anwesend!"
Das war einer der Tage: An denen ich an meiner Berufung zumindest gezweifelt habe. Der Schädelzug mit 30 Mann ist ausgerückt. 78 Stunden später waren noch 16 zumindest körperlich vor Ort und aktiv im Einsatz. Vier Polizeichefs wurden für den Einsatz des Hamburger Kessels später gerügt. Wir „Schädler“ bekamen alle einen disziplinären Eintrag in der Akte.
Ich möchte diese Zeit nicht missen. Das Vertrauen innerhalb einer Gemeinschaft habe ich so vorher und nachher nicht mehr erlebt. Aber die Sinnlosigkeit zieht bis heute seine Bahn durch mein Leben …
to be continued …