Geht oder geht nicht ...

Ein Arbeitstag auf dem Balkon. Neudeutsch heißt es heute Home-Office. Einfach mal arbeiten. Keine Störungen – keine Telefonate mit Kunden – kein akribisches Suchen. Einfach mal in Ruhe arbeiten!

Zeitgeschehen

Ich mache mir in der Küche einen Kaffee und sehe runter auf den Gehweg. Eine kleine 30x90cm Pfütze ist zugefroren. Ein Junge (10-11 Jahre) macht mit seinem Rad davor halt. Stellt das Rad ordentlich auf den Seitenständer und „probiert“ die Pfütze aus.

Ich merke erst später (siehe Zeichen*!*), dass ich laut das Geschehen mitspreche: „Alter, was bist Du den für ne Pussi? Rad hinlegen und rutschen!" Der Junge geht wieder zu seinem Rad: „Ja klar – und nun mit dem Bike über die Pfütze – Hinterradbremse und Drift - GoGoGo“ Der Junge schmeißt aber erst einmal sein Fahrrad um, beim Versuch, den richtigen Tritt zu finden. „Boh – Pfosten. Hättest es auch gleich hinlegen können?“ Aber er versucht es immerhin – nimmt Anlauf und *!* ich denke noch: „Nicht die Vorderbremse!“ und packt sich voll auf die Omme. Lutscher denke ich!

Heute (2 Tage später) sehe ich den Jungen wieder. Gleicher Ort – gleiche Pfütze. Immer noch gefroren. Und er fährt auf die Pfütze und #MeinerEiner drauf zu. Fokussiert – konzentriert. Haut die Hinterradbrems rein – zieht voll den geilen Slide durch und kommt am Ende wieder in die Spur. Ich konnte nicht anders. Hab High Five angeboten und der Krümel hat es vom Bike aus angenommen. Stolz wie Oscar peste er davon und brüllte YES! Ich habe mich gefreut. Einfach nur gefreut!

Gedanken kommen – Gedanken gehen.

Was das Szenario mit Online-Handel zu tun hat? Ich weiß es noch nicht wirklich in Worte zu fassen. Fest steht allerdings, dass auch ich über die Jahre oft genug in diesem digitalen Online-Business auf die Omme gefallen bin. Um bei dem Jungen zu bleiben: Es ist leicht für uns „heute“ Wissenden zu sagen „Alter – nicht die Vorderbremse!“ und sich dann genüsslich in Verunglimpfungen a´ la „Lutscher“ zu verlieren.

Was genau ANDERES tuen wir denn heute?

Ich habe einen Artikel eingekauft (neudeutsch- gesourct), den ich an den Mann, die Frau, das Kind, die Familie bringen will. Ich probiere in Phrasen, in short- oder longtail keywords. Ich sondiere den CTR über google, bing, AMZ und/oder facebook und Kohorten. Ich probiere Image-, Master-, emotional- und auch Hero-Images. Ich schalte Google-, bing-, FB-Ads + PPC und teste aus, was irgendwie läuft. A/B-Testing ist schon fast im Blut, ohne es wirklich erklären zu können. Farbkontrast, Marken-CI und mobil responsiv laufen fast automatisch ab. Und der leidliche Kram mit der Steuer, dem VerpackG, den Gebühren und das mit der Greta und den Retouren … irgendwie geht schon!

Irgendwie geht.

Und ich sitze auf dem Balkon. Die Sonne scheint im Januar und wärmt sogar. Der Laden läuft wieder. Meine Mitarbeiter sind super. Ich kann mal einfach zuhause bleiben. Und mache sogar ein Bild davon.

Wenig später laufen die Nachrichten. Syrien, Brand in einem Matratzen-Lager, Bombenfund, Evakuierung, Australien, Kopfschuss in Solingen, 345km Stau rund um Köln, Demos in Sachen Nachhaltigkeit und „keine“ wirklichen Ergebnisse beim Libyen-Gipfel in Berlin (was ein Wunder!)

Und Du kommst naturgemäß wieder ins Grübeln. Gehst mit deinem Hund wieder Gassi. Bewaffnet mit einer mehrfach verwendbaren Jute-Tüte und siehst an der Kasse – in Griffweite für die Kids: Ü-Eier jetzt mit pinker Plastik-Verpackung. Extra für die weiblichen Kids. Da ist der gleiche Scheiß drin – nur in rosa verpackt. Und die family vor mir kauft gleich 6 davon. Plus 12x Cola-Light in winzig kleinen 0,25l Dosen. Toll verpackt – aber trotzdem 12x Blech-Schrott + Blechinhalt + Plastik-Verpackung.

Und ich mache mir Gedanken über naturbelassenen Kautschuk zur Luftballon-Herstellung? Ich such mir ne Pfütze und gehe sliden mit dem Jungen … der Sinn dieser Welt geht mir langsam verloren.