Enter the dragon

Während grade Pink Floyd - Comfortably numb - läuft, komme ich gern noch einmal zurück auf den letzten Post.

Speed is only a question of money …. Es gibt immer zwei Seiten. Aber nur eine, auf der Du stehst (cc. Daniel Wirtz)

Das mit dem UNFALL, mit der Inkontinenz, mit dem „nie wieder Laufen können“ muss noch etwas warten. Ich bin einfach noch nicht soweit!

Aber dieses Epos „enter the dragon“ ist an sich nur einem Menschen gewidmet. Dem PHK Rollenhagen - im weiteren Verlauf einfach Rollo genannt. Ein echt mieser … oder aber auch geiler Typ. Er hat mich geknechtet und abgemahnt, wo es nur ging. Ich war in der Ausbildung zum Polizeibeamten und diese miese Sau war mein „Vertrauens- und Klassenlehrer“.

Um alle Bedenken von vorn herein zu killen: Ohne „Rollo“ wäre ich niemals länger als maximal 8 Monate in der Ausbildung zum Polizeibeamten geblieben. Punkt! Ohne Rollo hätte ich viele Momente als Polizist (schützen, bergen, helfen) weder genießen noch erfahren können oder dürfen und hätte viel an Lebenserfahrung oder Weitsicht niemals erreicht! Und ohne den „Rollo-Spirit“ hätte ich wahrscheinlich auch mein Leben als solches verloren. Danke somit Rollo (R.I.P)

Antreten

Rollo hatte mich am Tag der Eignungsprüfung schon auf dem Plan - auf dem Negativen. Der Spruch in der Mensa - vor versammelter Mannschaft: „Den krieg ich - der kommt zu mir!!“ sagte an sich schon alles. In meiner damalig durchaus noch aufmüpfigen wie gleichsam kindlichen Denke waren damit schon die Gräben der Zukunft abgesteckt.

Ich im vollkommen Lederdress, grad vom Hocker/Motorrad abgestiegen. Rollo in Uniform mit blinkenden Sternen und Ausbilder-Mütze. Ich mit Helm und nassen, dazu langen blonden Haaren bis zur Hüfte. Er betont bürokratisch. Ich laissez faire: „Der will nur spielen!“ Nein - wollte er nicht!

Ohne Übertreibung: egal, wo ich stand, saß, aß oder gar Notdurft verrichtete. Rollo war da! Mein „Vertrauenslehrer“ konnte, zumindest außerhalb der Unterrichtsstunden, jederzeit über mich verfügen. Vor dem Unterricht (Frühstück) oder aber in der Mittagspause wie auch nach dem Unterricht konnte er mich auf die Geschäftsstube bestellen. Wenn ich nicht erschiene, hätte ich ihm einen Grund zur Abmahnung (Befehlsverweigerung) gegeben. Also erschien ich. In zwei Jahren meiner Ausbildung zum Polizeibeamten der Hansestadt Hamburg an immerhin gut 500 Tagen. Dazu meist 2x am Tag - je nach Laune und/oder Terminen von Rollo. Und es machte auch keinen Unterschied, ob Rollo dann da war oder in einem Termin war oder zum Essen ging.

Er legte mir an jedem Tag - an jedem f*****g day, also jeden Tag --- einfach nur ein leeres, weißes DIN A4 Blatt mit einem vorgedruckten Text vor: „Hiermit kündige ich aus persönlichen Gründen zum nächstmöglichen Zeitpunkt meinen Dienst und damit meine Ausbildung bei der Polizei Hamburg.“

Datum: ____________________     Gezeichnet: ________________

Und dann verließ dieser Patriarch das Dienstzimmer - wortlos! Morgens oder abends saß ich dann da. Mindestens 30-40min. Zu Mittag auch gern eine gute Stunde. Ein frühzeitiges Entfernen ohne Erlaubnis hätte wieder eine Abmahnung oder im Amtsdeutsch --- eine Dienstaufsichtsbeschwerde --- nach sich gezogen. Vorne vor dem Dienstzimmer saß ja so ein minderbemittelter menschlicher Wachhund in Uniform. Ich war mir dessen bewusst. Und genau diese Blöße gab ich mir nicht. Niemals. Nicht an einem einzigen Tag dieser verschwendeten Stunden an Lebenszeit!

Mean Machine

Rollo war kein böser Mann. Rollo war halt Rollo. Außer Schwarz und Weiß gab es für ihn keine Farben. Richtig oder falsch waren damit, in seiner Denke, ganz einfach einzuordnen. Gut und Böse ebenso. Recht und Gesetz, Anstand, Ethik und Moral waren die Eckpfeiler seines Denkens. Nicht so weit weg von meiner Erziehung - ganz und gar nicht. All das, was Rollo predigte, hatte mein Vater mir schon über Jahre eingeimpft und anerzogen.

Was Rollo und mich trennte war einzig und allein die Uniform und meine Frage nach dem „Warum“? In Rollos Augen war ich ein Nichtsnutz. Er lernte mich kennen als Kind ohne Grenzen. Hungrig, wissbegierig und … sagen wir mal naturbelassen. „Geht nicht“ gab es für mich bis dato nicht. Ich hatte immer noch lange Haare bis zum Gürtel - ich hörte Deep Purple und Savatage, ich spielte fast nackt Fußball in meiner Freizeit und hatte trotz oder gerade deswegen eine tolle hood mit meinen Kommilitonen im gleichen Jahrgang. Was in Sachen Regeln und Gesetzmäßigkeiten für einen angehenden Polizeibeamten in den Augen von Rollo naturgemäß an Blasphemie grenzte. Das ich dann noch ein Verfahren gegen den „Haarerlass“ der Hamburger Innenbehörde anstrebte, gab dem Mann wahrlich den Rest.

Fakt: in meinem Jahrgang 1981 wurden nun auch gern Frauen angenommen. Nichts dagegen - absolut nichts! Machen „fast“ den gleichen Dienst wie die Kerle - lernen den gleichen Stumpfsinn und verdienen die gleiche Kohle. Aber dürfen lange Haare haben. Ich als Kerl aber nicht? Die Frage nach dem „Warum“ stellte sich mir in der Ausbildung an sich jeden Tag. Aber hier sah ich mich in meiner … wie heißt es heut im „Gender-Vokabular“ so schön - Selbstfindung - in Relation zur Weiblichkeit doch sehr beschnitten. Im wahrsten Sinne des Wortes! Also ging ich dagegen an. Auch „meine“ Haare kann ich zum Dutt verarbeiten und unter einer Dienstmütze verstecken - kein Problem!

Diese Nummer und damit leider ausschließlich nur meine Nummer, ging bis zum LG Hamburg. Ein junger Polizeibeamter besteht auf seine langen Haare. Es ging in der Urteilsfindung nicht um die Relation zu den weiblichen Kolleginnen. Es ging nur um mich. Als Mann, der lange Haare tragen wollte.

Verloren

Klar hatte ich diesen Kampf verloren. Es wurde mir im Verlauf der langen Verhandlungen völlig klar. Ich würde hier nichts holen. Aber zumindest einen Versuch war es wert.

Rollo heimste sich eins und kam jeden Tag quitsch und fidel aus der Rektorenbesprechung. Er pikste mich noch mehr, als er es vorher tat und suchte nur nach einem Grund, mich des Unterrichts und damit der Ausbildung zum Polizeibeamten zu verweisen.

1. Die schwarzen Polyestersocken der Hansestadt waren ein Muss in Sachen Uniform. 5-10min nach dem Anziehen dieser schwarzen Müllbeutel hast Du „down under“ gestunken wie ein Iltis. Also habe ich - 80er Jahre halt - aus Prinzip und Selbstschutz weiße Tennis-Socken aus Baumwolle getragen. Abmahnung!

2. 30° Grad und mehr Temperatur hatten wir auch schon in den 80ern. In der Ausbildung - im Klassenzimmer einfach mal diesen „Fertig-Schlips“ (nix mit Binden - nur anstecken!) abnehmen und den obersten Hemdknopf öffnen. Abmahnung!

3. Morgens spät dran und die Hemdklappen, diese Flügel, die dich als Gefreiter, Strunz-Popel oder Private-Anfänger haben erkennen lassen, einfach mal vergessen. In einer Schule mit ca. 1.500 Polizeianwärter-Strunz-Popeln. Alle gleich und ja: jedem war klar, wer ich bin. Nur Rollo sah das anders. Abmahnung!

Möglichkeiten für Rollo gab es zuhauf. Wir waren eine sogenannte „Problemklasse!“ Die Röteln-Epidemie im PAZ-Ausbildungszentrum Hamburg ging auf meine Klasse (einfach mal googeln). Aber es war an sich völlig egal, wo sich meine Klasse bewegte oder wie diese Klasse sich verhielt. Ich war auch hier immer der Ansprechpartner für meinen Klassen- und Vertrauenslehrer Rollo.

High Noon

Ich weiß heute nicht mehr, was da abging. Was der Auslöser war und/oder worum es ging. Ich weiß nur noch, dass ich meinen Ausbilder Rollo vor der Klasse auf den Flur gebeten habe: „Lass uns das draußen klären - unter Männern!“

Klar lächelte Rollo und zeigte mir sofort den Weg zur Tür. Ich ein Bubi von 19 Jahren mit Wut und Kindersperma plus diversen Abmahnungen im Pelz und er ein erfahrener Mann und zudem professioneller Boxer. Die Klasse war still. Eine Stecknadel hätte man gehört. Ich war auf alles gefasst und das Adrenalin lief mir buchstäblich aus den Ohren. Ich wollte den Mann wegmachen. Einfach umhauen. Einfach mal einen Tag Ruhe haben vor dem Wichser.

Rollo drehte mir aber, nachdem er betont langsam die Tür geschlossen hatte, einfach nur den Rücken zu und machte sich einen Zigarillo an. Absolutes Rauchverbot in der Schule! Bettete seinen Breitarsch entspannt auf einem Fenstersims und musterte mich. Ich war voll auf Zinne und kampfbereit: „Komm doch!“

Und das erste Mal kam von ihm mein Zauberwort: „Warum?“ Ich war völlig verdutzt. Der Mann war die Ruhe selbst und erklärte mir in ruhigen Sätzen, warum er mich tagein, tagaus in den Wahnsinn getrieben hatte. In seiner Welt kommen nur die durch, die allen Widerständen trotzen können und trotzdem erhoben Hauptes stehen bleiben!

Rollo haute dann noch ein wenig gegen die Wände- schrie sehr laut rum und ließ die Fensterflügel im Flur sehr laut schlagen. Warf sein Zigarillo in den Hof, öffnete die Klassentür und wies mir den Weg in die Klasse zurück.

Only the best die young

Wir haben nie wieder über diesen Tag gesprochen. Alle Fragen meiner Klassenkameraden blockte ich ab. Es gab nichts zu erzählen. Ich machte meinen Abschluss mit sehr guten Noten und hatte alle Wege frei.

Ich hatte meinen Weg gemacht. War in einer Einheit angekommen, in die ich hingehörte. Der Schädeltrupp. Nur Gestörte und Durchgeknallte --- aber dein Rücken war immer safe. Verlass auf ganzer Linie! Und wir hatten Schießtraining. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Rollo stand neben mir, während er wortlos meine Kladde ranzoomte. Musterte mein Ergebnis - gab mir mit der Faust einen Stupser unter das Kinn und lächelte. Wortlos ging er.

Knapp ein Jahr später war er tot. Krebs. Einfach umgekippt und aus. Die Bluteiche für Hamburger Polizisten auf dem Olsdorfer Friedhof wollte er nicht. Er wollte in Poppenbüttel anonym bestattet werden. 8 Menschen waren da. Nicht mehr. Nicht weniger. Rollo war halt nicht wirklich beliebt.

Aber ein Kerl wie er im Buche steht.

Danke Rollo. Und ganz im Ernst. Ich habe heute --- gut 40 Jahre später --- Tränen in den Augen, wenn ich an unsere beschissen geile Zeit denke und darüber schreibe.

R.I.P.  Rollo