Ein Liebesbrief
25 Jahre – das sind 9125 Tage, eine halbe Ewigkeit oder, ganz romantisch formuliert: ein Vierteljahrhundert voller Adrenalin, Leidenschaft und Schräglage.
2025 feiere ich ein außergewöhnliches Jubiläum, denn meine treue Begleiterin, meine Suzuki TL 1000 S, wird offiziell zum Oldtimer. Und während ich das hier schreibe, wird mir klar: Keine Freundschaft, keine Ehe und kein Hundeleben hat es je geschafft, so lange an meiner Seite zu bleiben wie dieses Biest auf zwei Rädern.
Dabei begann unsere Geschichte ganz unspektakulär, ja fast zufällig.
Der Beginn einer Leidenschaft
Seit ich denken kann, zieht es mich auf Zweiräder. Erst nur ein Mofa, später ein Leichtkraftrad, bis schließlich Kawasaki mit immer brutaleren Maschinen mein jugendliches Herz eroberte. Schnell, laut und wild – das war meine Welt. Dass ich all die Knieschleifer-Orgien und Haarnadelkurven überhaupt überlebt habe, verdanke ich wohl einer unermüdlichen Schar Schutzengel, die ich vermutlich längst in den Ruhestand geschickt habe.
Doch dann kam der Bruch: Ein schwerer Sturz nahm mir weit mehr als nur den Mut. Fast ein Jahrzehnt lang blieb Motorrad für mich tabu. Aber die Sehnsucht, sie blieb. Jedes Frühjahr, wenn der Geruch von Asphalt und Benzin in der Luft lag und ein brüllendes Höllengerät an mir vorbeizog, juckte es mehr. Ich musste zurück in den Sattel.
Die Rückkehr auf die Straße
Eines Tages fasste ich mir ein Herz. Mein alter Helm war bei meinem letzten Sturz verstorben, also borgte ich mir einen von einem Freund, schlüpfte in Jeans, Turnschuhe und meinen guten alten Bundeswehr-Parka. Es ging zu Honda – etwas Entspanntes sollte es sein. Zudem war es einer der einzigen Hamburger Händler damals, der Motorräder auch auf Zeit vermietete. Dort stand sie: eine Hornet 900, ein schnörkelloser Vierzylinder. Nicht hübsch, alles andere als spektakulär, einfach nur ein Motorrad, wie es Kinder malen. Zwei Räder, ein Tank, eine Sitzbank – fertig.
Trotzdem: Der Moment, als ich den Schlüssel in der Hand hielt, ließ mein Herz hüpfen. Nach der ersten Kurve dann die Ernüchterung – ich war eingerostet. Kaum hatte ich das Ding aus dem Hof manövriert, landete ich mit Karre unsanft auf der Seite. Angst aß Seele auf! Doch Kilometer für Kilometer kam das Gefühl zurück. Der Spaß, das Adrenalin – ich war wieder da! Drei Tage und über 1000 Kilometer später gab ich die Hornet zurück, erschöpft, aber selig grinsend.
Liebe auf den ersten Blick – The Beast!
Auf dem Rückweg zur U-Bahn sah ich sie dann. Sie stand im Fenster allein in einer Ecke. Abgeschottet von all den anderen, die in Reihe um Aufmerksamkeit buhlten und blinkten. Geduckt und seltsam schmal, wie ein Raubtier auf der Lauer. Ihre kantigen Linien und das futuristische Design wirkten wie eine Kampfansage an alles, was sich bis dahin Motorrad nannte. Zwei Zylinder? Was sollte das sein? Auf den ersten Blick schien sie fast widersprüchlich – ein Rennpferd mit der Statur eines unterernährten Gauls. Doch genau das ließ mich nicht los.
Noch während ich überlegte, trat ein älterer Mechaniker aus der Werkstatt neben mich. Sein Blick war abschätzend, ein wenig spöttisch. Sicherlich wegen meiner Klamotte, die eher nach Freizeit am Teich aussah. Aber er klimperte mit einem Schlüssel in der Hand zu diesem … Ding. „Willst sie mal testen? Ne TL 1000 S – ganz heißer Scheiß!“ fragte er, und sein Tonfall ließ keinen Zweifel: Er rechnete nicht damit, dass ich dieser Maschine gewachsen war. Und genau das juckte mich.
Einzig- nicht artig und alles außer gewöhnlich!
Ich nickte und griff zu. Kaum startete der Motor, spürte ich, dass dies kein gewöhnliches Motorrad war. Es war eine Übermacht, eine Waffe aus Stahl und Feuer. „Denk dran“, brüllte der Mechaniker noch, „das ist ein Zweizylinder – die reißt völlig anders als vier Pötte!“ Und er hatte recht.
Der erste, vorsichtige Zug am Gashebel fühlte sich an, als hätte sie beschlossen, mich abzuwerfen. Der Zweizylinder pfiff nicht heiser wie ein ordinärer Vierzylinder – er keuchte, röhrte, brüllte und tobte. Jeder Dreh am Gasgriff war ein Befehl, den sie allerdings nur zögerlich akzeptierte. Als wollte sie testen, ob ich ihrer würdig war.
In den ersten Minuten war ich nur Beifahrer, ein im wahrsten Sinne blinder Passagier auf einem wildgewordenen Rennpferd. Doch mit jeder Kurve, mit jeder Beschleunigung begann ich, mich anzupassen. Es war, als würde ich lernen, mit einem Raubtier zu tanzen, das jederzeit zuschlagen konnte.
Die Entscheidung: Ein Bund fürs Leben
Keine Stunde später hatte ich den Vertrag unterschrieben. Diese Maschine war kein schnödes Fortbewegungsmittel – sie war eine Naturgewalt, ein Zweizylinder, der mit seiner rohen Kraft und seinem Temperament jede Fahrt zu einem Abenteuer machte.
Die TL 1000 S war keine sanfte Verführerin, keine Maschine, die einem den Weg leicht machte. Sie verlangte alles, aber sie gab auch alles zurück. Jede Tour mit ihr war ein Test, jede Kurve ein Moment, in dem man Respekt zeigen musste. Doch genau das ist es noch heute, was meine Karre so einzigartig macht.
25 Jahre später
Alles an meiner TL wurde in den nächsten Jahren verändert. Mehr Grip, weniger Gewicht, mehr Leistung, mehr Sicherheit.
Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, blicke ich zurück auf unzählige Kilometer, auf die kurvigen Landstraßen Europas, abgesperrte Rennstrecken und Flugplätze. Auf all die Tage, an denen ich einfach nur losfahren wollte, ohne Ziel, ohne Uhr. Und auf Momente, die mir immer und immer wieder das Leben gezeigt haben, wie es ist: pur, schnell, kompromisslos und unvergesslich.
Danke für all die Jahre. Auf die nächsten 25!