Durch die Brust ins Auge
„Wir haben grad im vertikal launch ein delisting project im onboarding flow zum approach check der customer convenience als first mover auf home24 laufen"
JaNe – is klar 😊
Vor einigen Jahren noch hätte ich mich schweigend umgedreht und wäre gelaufen. Heute verstehe ich nicht nur den d´englischen Slang der Generation Z. Ich kann sogar mitreden und auf Augenhöhe mit Größen der heutigen Zunft diskutieren. Das macht ein Fossil wie mich schon irgendwie stolz.
Als Opener der Convention-Workshop-Milestone-Summit-Roundtable-barcamp-Saison 2022 habe ich mir diesmal die Marketplace-Uni ausgesucht. Die Otto Kelms (sorry Otto) dieser Welt kenne ich nun schon seit Jahren. Es muss etwas far beyond geben. Da muss noch mehr sein außer keyword-tracking, flatefiles und big data. Ich brauche was, wo man mich nicht kennt und ich neue Leute kennenlerne.
Und in der Tat – der erste Tag war kurzweilig und nicht nur teilweise sehr interessant. Nicht, dass das Rad des Online-Handels neu erfunden wurde. Ganz im Gegenteil: es dreht sich nun nur erheblich langsamer – dafür effizienter.
Nehmen wir dafür den CEO von keiner geringeren Schuhmarke als TAMARIS als Beispiel. Über die letzten 6 Jahre profundes Wachstum hingelegt. Big - bigger - better - steiler und high end brand. Und der Typ steht auf der Bühne und sagt als Eingangssatz:
"High performing Artikel mit 1000 und mehr sales am Tag muss man auch mal killen können – und dürfen!"
Bäääähm – Ruhe im gut besuchten Saal!
Die Story dazu ist so trivial, dass sich jeder Online-Platzhirsch mit ein wenig Budget in der Hinterhand heute sicherlich an den Kopf gefasst hat. Für den Begriff „Milchmädchen-Rechnung“ gibt es wahrscheinlich noch kein passendes Wort im D´englischen Vokabular.
Man lasse sich eine KI bauen, die folgende Werte umfasst:
Artikel
Länder
Saisonale Relevanz
Marktplatz-Gebühren
Zoll- und Versandkosten
Retourenquote
Customer-Reviews
Traffic zu Conversion
Herstellungskosten
Handling- und sonstige Personalkosten
…. und noch einige weitere „inhouse“ Parameter
Das führt dann dazu, dass innerhalb weniger Sekunden z.B. ein Wander-Schuh in Spanien vom Markt genommen wird, da die Vorgaben der Firma genau jetzt nicht mehr zu den von der KI erfassten Zahlen passen. Dieser aber weiterhin in Frankreich, Norwegen oder Polen läuft.
Das führt auch dazu, dass TAMARIS (von einigen KI-gesteuerten Ausnahmen abgesehen) im Ausland keinen Schuh mehr online verkauft, der unterhalb von € 50,- VK gehandelt wird. Daraus folgt wie von Geisterhand, dass über diese KI gewisse Kontingente der Produktion am Saison-Ende automatisiert ins Amazon-Outlet geschoben werden und dieses auch zeitgleich über internationale Läger und fulfiller absolviert wird …. Und, und, und!
Awesome!
Drei junge Leute lernen sich über den Radsport kennen. Alle studiert (Wirtschaftsingenieur, Maschinenbau, IT) und voll im Saft. Einer kauft sich ein gebrauchtes Rennrad über eBay-Kleinanzeigen und hat damit mehr als nur Ärger. Schon war am gleichen Abend die Idee von buycycle geboren. Es gibt noch keinen Marketplace dafür – also bauen wir uns einen! Keinen f***g Online-Shop. Keine API-Schnittstelle. Keine brand für sales auf existenten Marktplätzen und auch keinen Connector.
Nein – gleich einen ganzen eigenen Marktplatz.
Einfach groß denken und machen. Von den Jungs war ich mehr als nur angetan. Kaum Haare am Sack aber voll und straight im business. RESPECT!
Was mich dabei vollends berührt hat, war eine klitzekleine Aussage so mehr am Rande des Vortrags. Auf eine Frage der Moderatorin hin, was den der größte fail in der Entwicklung war, sagte der junge Mann verschmitzt: „Ich weiß es ehrlich noch nicht. Wir sind völlig naiv in diese Idee gestartet. Wenn wir damals gewusst hätten, was es alles für Hürden gibt, hätten wir es sicherlich nicht gemacht. Vielleicht war genau das die beste aller Voraussetzungen.“
Bin sehr gespannt auf den zweiten Tag. Ich fühle mich zwar wieder so klein wie am Anfang meiner Reise in diesen Online-Zirkus. Aber genau das hat mir evtl. gefehlt. Ohne große Erwartungen in die sicherlich 50igste Convention meines noch so kurzen Online-Daseins zu gehen und doch so positiv geflasht zu werden.
Und genau dieses feeling brauchte ich, um die nächsten anstehenden Aufgaben in mir bis dato völlig unbekannten Welten als Online-Grufti noch einmal erfolgreich bestreiten zu können.
Well done!