Der letzte Punkt – ein Ende oder doch ein Anfang?
Er markiert den Abschluss einer Geschichte, doch für mich war er nie wirklich das Ende. Was bedeutet es, diesen Punkt zu setzen? Und was bleibt danach? Eine Reflexion über Abschlüsse, Neuanfänge und die Reise, die das Schreiben zu einer Lebensaufgabe macht.
Fin. Ende. Finalized.
Wer es noch nicht erlebt hat, dem sei es gewünscht: dieser Moment, in dem die letzten Sätze eines Werks ihren Platz finden. Der Punkt, der das Ende markiert. „Niemand wird böse geboren“, mein erster Hamburg-Roman, in dem ich all meine Gedanken über Schuld und Unschuld, Hoffnung und Verzweiflung hineingelegt hatte. Dieses Buch war mehr als nur eine Geschichte – es war ein Stück von mir selbst, ein Versuch, etwas Bleibendes zu schaffen. Nun war es abgeschlossen, und man selbst bleibt zurück – voller, irgendwie jedoch leerer, anders.
Mein erstes Mal – daran erinnere ich mich glasklar. Es war quasi die zweite Entjungferung, nur 45 Jahre später. Die Bühne: ein irisches Pub in Leipzig, Champions-League-Spiel. Ich saß mitten in einem Meer aus englischen Fans. Eine Raucher-Lounge, offiziell für 18 Personen zugelassen, in der mindestens das Dreifache brüllte, rauchte, trank. Chaos pur. Mein Tisch, ein winziges Zweier-Modell, war gerade groß genug für Laptop, Aschenbecher und ein Whiskyglas. Während die anderen ekstatisch bei jeder Aktion auf dem Spielfeld jubelten, war ich gefangen im Sog meines letzten Kapitels.
Dann kam er, dieser letzte Punkt. Der Abschluss. Ich zögerte einen Moment, mein Finger schwebte über der Taste. War es das? War die Geschichte wirklich zu Ende? Es fühlte sich so an, als würde ich einen alten Freund verabschieden, einen Teil von mir loslassen. Aber ich wusste, dass der Moment gekommen war. Und dann setzte ich ihn. Alles in mir entlud sich in einem einzigen tiefen Atemzug, der den ganzen Raum um mich herum ausblendete. Die tobende Menge war plötzlich nur noch ein fernes Rauschen, während in mir eine Stille herrschte, die sich wie ein kleines, sauerstoffloses Universum anfühlte. Und dann – wie auf Kommando – fiel das Tor. Manchester City traf, und der Pub explodierte. Ich auch. Nicht wegen des Tores, sondern wegen meines Romans.
Ich sprang auf, wie aus einem Katapult geschleudert. Das Adrenalin schoss durch meinen Körper, und bevor ich wusste, was ich tat, brüllte ich los. Es war kein kontrollierter Schrei, sondern ein Urlaut, geboren aus einer Mischung aus Erleichterung, Stolz und purer Euphorie. Die Menschen um mich herum waren außer sich. Es spielte keine Rolle, dass ich kein Fan von Manchester City war und mir Fußball in diesem Moment völlig egal war. Ich war Teil ihrer Ekstase, und sie Teil meiner.
Ich griff nach dem Nächstbesten – einem bärtigen Kerl mit verschwitztem Trikot – und riss ihn in eine Umarmung. Ehe ich mich versah, war ich in einem Strudel aus Menschen: Männer und Frauen, alle wildfremd, doch für diesen einen Moment fühlten wir uns verbunden, als hätten wir denselben Triumph erlebt. Wir tanzten, lachten, schrien, schwankten mit den Armen in der Luft. Der Schweiß der Menge mischte sich mit meinem eigenen, und ich spürte die Vibration ihrer Stimmen bis tief in meinen Brustkorb. Es war chaotisch, es war surreal – es war perfekt.
Unsere Motive hätten unterschiedlicher nicht sein können, aber in diesem Moment zählte das nicht. Die Tränen fühlten sich gleich an, und die Freude war dieselbe.
Warum ich das schreibe?
Weil ich heute den nun schon dritten Hamburg-Roman „Niemand sieht deine Dunkelheit“ mit dem letzten Punkt abgeschlossen habe.
Der zweite Roman, „Niemand wird es verstehen“, fand sein Ende zumindest noch in einem gutbesuchten Strandlokal an der polnischen Ostsee. Die Sonne schien, ich bestellte mir einen neuen Whisky … und alles war gut.
Heute nun völlig unspektakulär. Allein im eigenen Wohnzimmer und mit einem Whisky mir selbst im Spiegel zugeprostet.
Warum so entspannt, so geordnet, so LANGWEILIG?
Um das zu verstehen, muss ich zurückschauen – zurück zu meinem ersten Roman, „Niemand wird böse geboren“, zu dem Moment, als ich dachte, der letzte Punkt sei das Ende. Dabei war es in Wahrheit erst der Anfang.
Die Endorphine, die Freude, die Zweifel, das Versagen, das immer wieder neu anfangen müssen, das Streichen, das Kennenlernen von Buchmarketing, die Besonderheiten im Eigenverlag, das Grübeln, das Verzweifeln … all das habe ich nun lange hinter mir.
Der letzte Punkt war damals ja leider nicht der letzte – was ich mangels Erfahrung in der verrauchten Spelunke nicht wissen konnte. Motiviert suchte ich mir die beste aller Lektorinnen überhaupt … Maria Al-Mana.
Noch einmal drei Monate gingen ins Land, bis das Sammelsurium meines ersten Lebens endlich einigermaßen in Kapitel gesetzt und damit in die Spur gebracht war.
• Nun endlich zündete ich alle Raketen.
• Eine neue website musste es sein.
• Einem BOD-Verlag übergab ich mein fertiges Manuskript.
• Ein Blog musste folgen.
• Instagram, YouTube, eine neue FB-Site und sogar TikTok richtete ich ein.
• Ich lernte mit Canva, Capcut und KDP-Programmen zu arbeiten.
• Natürlich auch sofort einen Sprecher (Sören) für ein Hörbuch geordert.
• Zur Buchmesse mit eigen erstellten Flyern und V-Cards angereist.
• Hoodies und T-Shirts nebst Tassen und Merchandise gedruckt.
• Gut 400 Eigenexemplare geordert.
Und es passierte … nüscht.
Was nicht schlimm ist. Geld wollte ich (ganz im Ernst) nie verdienen. Es war eher eine Art von Eigentherapie, um mit dem ersten und zweiten Kapitel meines langen und spannenden Lebens endlich abschließen zu können. Und dadurch zur Ruhe kommen zu können.
Aber heute ist, durch die Vorarbeit nach dem ersten Roman, halt alles sehr viel einfacher – dadurch auch unaufgeregter.
Ok – dieses Feuerwerk im Kopf, die Kobolde und Elfen mit dem BlingBling nach dem letzten Punkt. Die fehlen mir wirklich ein wenig. Das ist es dann aber auch.
Der Spaß, die Faszination, die Freiheit beim Schreiben hat mich tief gefangen. Durch die Wirren nach meinem ersten Hamburg-Roman konnte ich vieles lernen und habe alle Skills zur Verfügung, um trotz aller Freude nicht mehr aufgeregt zu sein. Da ich nun schon aus Erfahrung weiß, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt.
Vielleicht fehlt mir heute das Feuerwerk, dieses Chaos im Kopf, das damals nach dem ersten letzten Punkt explodierte – die Kobolde und Elfen mit ihrem BlingBling. Aber ich habe dafür etwas anderes gewonnen: die Freiheit. Die Freiheit, nicht mehr von Zweifeln überwältigt zu sein. Die Freiheit, zu schreiben, nicht weil ich muss, sondern weil ich es will.
Mit dem dritten Hamburg-Roman „Niemand sieht deine Dunkelheit“ ist die Trilogie *Niemand* abgeschlossen. Ein Kreis hat sich geschlossen, und ich habe das Gefühl, damit wirklich etwas hinter mir ge- und hinterlassen zu haben. Aber der nächste Kreis hat sich längst geöffnet.
Der erste Roman der Trilogie *Jeder*, mit dem Titel „Jeder steht für sich“, steht schon in den Startlöchern. Diese Reise durch mein Leben bleibt nicht stehen – sie geht weiter, immer weiter, Kapitel für Kapitel.
Ich weiß jetzt, dass der letzte Punkt nie wirklich das Ende ist. Er ist nur ein Übergang, eine Schwelle zu etwas Neuem. Und genau das macht das Schreiben so faszinierend: Es bringt dich immer weiter, führt dich auf Wege, die du nie erwartet hättest, und zeigt dir immer wieder, dass da noch etwas wartet, das entdeckt werden will.
Vielleicht liegt darin der wahre Zauber. Dass du nie fertig bist – weder mit deinen Geschichten noch mit dir selbst. Und solange ich schreibe, weiß ich, dass es immer noch ein weiteres Kapitel gibt, das darauf wartet, geschrieben zu werden.
Amazon: https://shorturl.at/iRO26
https://www.dirkcarolus.com/portfolio
#theend
#niemandsiehtdeinedunkelheit
#hamburgroman
#dirkcarolus
#einbuchschreiben
#autorenleben
#storytelling
#therealslimshady