Reden wir mal über Schmerz
Nein. Nicht das normale Portfolio.
Nicht die verbrannte Hand, das gebrochene Schienbein oder einen Splitterbruch im Becken. Nicht über Blasen an der Hacke oder den Schnitt im Finger. Physische Schmerzen sind durchweg temporär. Irgendwann ist der Schmerz vorbei oder aber wird gelebt und überlebt.
Das tückische am physischen Schmerz ist der psychische Nährboden. Schmerz durch eine reale Wunde ist endlich. Die Psyche ist unendlich, wenn diese durch immensen Schmerz belastet wurde ….
Chapter I * Heimkehr
… und der Kerl wollte nur heim. Die Schläuche waren entfernt worden. Blass war er. Hatte sich über die Wochen wundgelegen und der Einstieg in das Taxi ging nur über die mildtätige Hilfe des Fahrers. Taxi-Rainer hatte vor der Klinik gestanden. Rainer steht jeden Tag und Abend vor der Klinik. Jede Stunde wird dort jemand als gesund entlassen und sucht dann sein Heil in der Flucht.
Rainer kennt das Prozedere. Schnell die Tasche ins Auto. Flucht auf den Rücksitz und der Gast raunt eine Adresse. Nur weg von hier. Sicherlich nur eine Flucht auf Raten – aber immerhin besser als das Haus, aus dem man flieht.
Rainer hielt vor einer hell erleuchteten Villa im südlichen Hamburger Speckgürtel. Der Kerl hinten rührte sich nicht. Rainer sagte fröhlich: „Da sind wir!“ Als keine Antwort von hinten kam noch einmal etwas fragender: „Alles in Ordnung?“ Der Kerl hinten wusste es nicht und brummte: „Gib mir noch 10min. Lass das Ding da laufen!“ Rainer brummte: „Jo!“
Spärlich waren die Informationen aus diesem Haus gewesen. Aus seinem Haus. Aus dem Haus der Schaltzentrale seiner Macht. Hier lief alles zusammen. Hier sorgte sich seine Ex-Partnerin und heutige Sekretärin um den Fortbestand der Dynastie.
Der Kerl war praktisch 10 Wochen davon abgeschnitten. Krebs hatten die Ärzte gesagt. Es geht zu Ende und die Eier müssen ab hatten Sie gesagt. Zwischendurch runtergebrochen auf nur die Blase müsste raus. „Nur“ ein dritter Ausgang. Tagtäglich in einen Beutel auf dem Bauch pissen hatten Sie gesagt. Zwischendurch Dialyse und das Setzen von Stants in die Harnröhren plus immer wieder Ausschaben der Blase. Irgendwann hatte der Kerl abgebrochen und verließ die Klinik auf eigene Gefahr. Mit Rainer.
Auf eigene Gefahr
Die Gardine im Bad bewegte sich. In seiner Villa an sich der einzige Punkt mit Blick zur Straße – außer aus dem Eingangsportal mit den Säulen und dem Foyer dahinter. Der Kerl sah auf seine Uhr und drückte die Stoppuhr. Zeitgleich machte Rainer das Radio mit WDR 4 an. „Bitte nicht“ kam es von hinten und der Kerl legte schon einmal wortlos einen 50 Euro Schein auf die Mittelkonsole. „Bitte einfach warten…!“
Rainer drehte das Radio wieder ab und öffnete das Fenster. Er zündete sich eine Zigarette an. Gierig sog der Kerl hinten den Rauch ein. Rainer bot ihm eine Zigarette an. Der Kerl nahm diese, ein Klack eines Zippos erklang und Rainer sah im Augenwinkel, dass der Kerl sich der Länge nach auf der Rückbank Platz gemacht hatte. Der Kerl öffnete das Fenster zur Straße – zur Villa und rauchte einfach nur. Mit intensivem Blick auf dieses Haus.
4min 38sec. Blaulicht erfüllte die Straße. Die Polizei hielt visavis von Taxi-Rainer am Haus von dem Kerl. Zwei Polizisten stiegen aus und näherten sich dem Taxi. Rainer stieg sofort aus und fragte nach dem Grund. Es ging aber nicht um Rainer. Es ging um den Kerl hinten. Einer der Polizisten öffnete die Tür und bat den Kerl auszusteigen.
Der Kerl tat wie ihm geheißen und steig aus. Der Bulle klärte ihn über seine Rechte auf und sagte dann: „Sie dürfen hier nicht sein. Ihre Frau hat Hausrecht eingeklagt und gegen Sie ein Näherungsverbot im Sinne des Gewaltschutzrechtes erwirkt. Ich muss Sie ersuchen, sich zu entfernen!“
Der Kerl fragt noch: „Meine Frau?“
Und es war so. Diese Frau stand nun mitten im Vorgarten der Villa. Leicht im Brausebrand und musste von ihren zwei Söhnen festgehalten werden. Wild fluchend brüllte sie zur Straße rüber. Ungepflegte Erscheinung – wilde Haarpracht und die Schminke lief ihr in Bächen unter dem Kinn zusammen. Eine Frau, für die noch 12 Monate zuvor einige Honoratioren des hiesigen Speckgürtels eine Million für nur eine Nacht mit dieser Frau geboten hatten. Cash - auf den Tisch des Kerls.
Der Kerl war einfach nur müde. Er fragte einen Polizeibeamten, ob er bei der Furie in Erfahrung bringen könnte, wo sein Hund sei. Es dauerte Minuten, bis der Beamte zurück war. Er wurde angeschrien, diese Frau trat mit Füßen nach ihm und spuckte auf den Boden. Sie war außer sich. Der Beamte sagte wenig später zum Kerl: „Ihr Hund ist im Tierheim. Sollen wir Sie dahin bringen?“. Der Kerl senkte das Haupt und atmete tief durch. Der Bulle kam noch einmal durch: „Alles in Ordnung?“
Nichts war in Ordnung. Nur dies diesem Bullen auf das Revers zu heften, war völlig unnötig. Das wusste der Kerl. War er doch selber 10 Jahre als Bulle unterwegs gewesen. Unter den wilden Flüchen der Furie, die seine Frau sein sollte, stieg der Kerl wieder ins Auto von Taxi-Rainer. Rainer fragte nicht. Rainer fuhr einfach in Richtung Tierheim. Rainer lies auch das Radio aus. Rainer war über die Jahre bulletproofed. Wie auch der Kerl.
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to be continued