(Der Keiler)
Über einen facebook-post in Sachen Verwüstung durch Wildschweine kam heute wieder eine sehr dunkle Geschichte meines langen Lebens mit brachialer Vehemenz in meinen präfrontalen Kortex.
An sich habe ich ein vortreffliches Gehirn. Sache passiert - Sache ist ausgestanden/überlebt - Sache wird in Schublade gepackt und Schlüssel weggeworfen. Sache betrifft mich nicht mehr. Sicherlich sind die Lerneffekte + die daraus entstehenden Möglichkeiten präsent. Aber die Sache an sich ist vergessen und begraben!
Nicht so die Geschichte mit diesem Keiler.
Es muss so um Februar 2008 gewesen sein. Nach mal wieder einer Scheidung und dem dadurch wiederholten Verlassens meiner damaligen Lebensmitte leckte ich meine Wunden in einer mehr oder minder verfallenen Villa am Stadtrand. Hochherrschaftliches Haus, offene Küche und ein Wohnzimmer wie eine Kathedrale.
Leider nur Einfachverglasung der 60ér Jahre und keine funktionierende Heizung. Aber mit einem riesigen offenen Kamin. Ganz Gartenstühle aus Teak konnte man dort hineinstellen und verheizen!
Nachdem selbst das Olivenöl in einer lausig kalten Nacht auf dem Tresen in der Küche eingefroren war, kam ich allmählich aus meiner Lethargie und dem Delirium Tremens. Es waren keine Gartenstühle mehr da - selbst den Tisch hatte ich mittlerweile verheizt.
Mit einem Schlitten, diversen Gurten, einer riesigen Spaltaxt und meinem „neuen“ Hund SAM machte ich mich sowohl deprimiert als auch mit Kopfschmerzen auf den Weg in den nahe liegenden Wald. SAM war damals erst einige Wochen bei mir. Jung und tapsig. In Sachen Lernkurve so leer wie eine zerdrückte Cola-Dose aber neugierig und voller Tatendrang. Ergo noch an der langen Führungsleine. Er gab mir - wie so viele Hunde vor ihm - die nötige Kraft, den Alltag zu bewältigen. Diese Hundeseele galt es zu beschützen!
Im Wald angekommen machte ich mich sogleich an Werk. SAM wurde an einem Baum angeleint und mit Wut, brachialer Gewalt und einer Spur Restalkohol auf herumliegende Stämme wie auch Resthölzer eingeprügelt. Ich war/bin schon immer ein Naturbursche. Ich komme seit Jahrzehnten gut mit mir allein klar und bin in und mit der Natur erzogen worden. Im Übrigen setzt das >>allein mit sich<< sein auch weit mehr Kräfte (spiritueller und physischer Natur) frei als das >allein zu zweit<< sein!
Erdrückende Stille
Natürlich hatte ich mir ein Bier mitgenommen. Schweißnass - trotz der Kälte - saß ich neben meinem Hund im Schnee und gönnte mir eine eiskalte Hopfenschorle. Sein Kopf lag auf meinem Schoss und ich zündete mir eine Zigarette an. Gierig sog ich mit der kalten Luft den Rauch ein und lauschte dem Wald. Es pulsierte in meinen Adern. Ich fühlte mich weit mehr als nur lebendig!
Es knackte im Unterholz. Eine Bache mit drei Frischlingen kam auf die Lichtung. Hinter ihr ein kapitaler Keiler, der uns sofort erblickte und binnen Sekunden vor seiner Familie Stellung bezog. SAM richtete sich sofort zur (damals noch) recht schmächtigen Größe auf und grollte lang und durchdringend. Ich weiß noch heute, was ich in diesem Moment dachte. Ich ging >>unsere<< Chancen instinktiv durch:
a.) wegrennen … Wildschweine verfolgen nicht wirklich Menschen! Fehler: der Hund ist angeleint!
b.) meinen grollenden Junghund losmachen und wegrennen! Fehler: entweder er würde angreifen oder sich mit der Schleppleine verheddern!
c.) den Hund ganz losmachen und LAUF brüllen! Fehler: wir kannten uns erst seit ein paar Wochen und seine Reaktion konnte ich nicht beurteilen!
Angriff ist die beste Verteidigung
Adrenalin war noch genug vom Schwingen der Axt vorhanden. Das Auftauchen des Keilers war wie ein Extra-Boost. Nach instinktiver und ebenso kurzer Abwägung der Chancen für mich und meinen Hund - was blieb mir übrig!
Ich ließ den jetzt wütend bellenden Hund am Baum und stand mit meiner Axt auf. Ging dem Keiler nur 1-2 Schritte entgegen und brüllte. Ich brüllte meinen gesamten Frust der letzten Monate diesem Tier entgegen. Ich stand, nach diesem kurzen, aber lauten Monolog, breitbeinig da: KOMM DOCH!
Erdrückende Stille 2
Selbst mein Hund hatte das Bellen eingestellt, da auch ich das Brüllen eingestellt hatte. Die Bache mit der Brut hatte sich schon verzogen. Der Keiler hatte sich nicht einen Zentimeter gerührt und wir sahen uns Auge in Auge an. Es waren sicherlich nur Sekunden, die mir aber wie Stunden vorkamen.
Er trollte sich - drehte sich jedoch noch einmal abrupt um, um mich zu mustern. Ich hatte weder meinen Blick noch meine Position oder Körperhaltung verändert. Er ging. Hoch erhobenen Hauptes, stolz und sehr langsam. Mein Hund lag mittlerweile in Schockstarre flach wie eine Flunder im Schnee. Er wich vor mir zurück und es dauerte etliche Minuten, bis er mich wieder akzeptierte.
Epilog:
Aus dieser Begegnung entstand, nur gut 4 Monate später, mein Imperium >>bodybutler<< Privattraining, welches ich bis 2012 höchst erfolgreich führen durfte.
Das ist aber eine ganz andere Geschichte ….